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Finnlands Zweisprachigkeit: ja, tack oder hei-hei?

In Finnland wird Finnisch gesprochen. In ganz Finnland? Nein! In den Orten entlang der Süd- und Westküste hält sich tapfer das schwedischsprachige Finnland, Svenskfinland. Finnlandfreund*innen wissen natürlich, dass Finnland viele Jahrhunderte lang ein Teil des Schwedischen Reichs war und deshalb noch heute neben Finnisch auch Schwedisch gesprochen wird. Was aber macht einen zweisprachigen Staat aus und was bedeutet dies im Alltag für die Finn*innen? Und warum überhaupt ZWEIsprachig – werden nicht noch viel mehr Sprachen in Finnland gesprochen?

Ein Artikel in der Deutsch-Finnischen Rundschau Nr. 200 von Dr. Yvonne Bindrim

von Syysmyrsky , 27.03.2024 — 0 Kommentare

Schon bei der Ankunft in Finnland wird man von zweisprachigen Schildern begrüßt: Helsinki – Helsingfors oder Turku – Åbo. Später weisen einem Schilder den Weg zum Bahnhof (rautatieasema – järnvägsstation) oder in den nächstgelegenen Ort (Tammisaari – Ekenäs). Wer kein Finnisch beherrscht, weiß, dass einem das zweite Wort oft weiter hilft als das erste – oder es sich vom Deutschen ausgehend leichter merken lässt. Wer sich dann in den Osten des Landes aufmacht, wird merken, dass die Schilder schon bald nur noch auf Finnisch Auskunft geben; wer seinen Urlaub an der Westküste verbringt, dass nun Schwedisch zuerst oder zuoberst steht. Und auf Åland fehlt das Finnische meist ganz. Wie ist das möglich?

Die Antwort folgt, zuvor aber ein paar Fakten: Derzeit leben etwa 287.000 Schwedischsprachige in Finnland, die rund 5,2 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Rein numerisch betrachtet könnte man Schwedisch damit als Minderheitensprache bezeichnen. Juristisch ist siedies nicht, denn laut Grundgesetz sind Finnisch und Schwedisch beide Nationalsprachen, sie sind einander gleichgestellt. Das unterscheidet das Schwedische von Minderheitensprachen wie dem Samischen oder Karelischen. Deren Sprechergemeinschaften genießen weniger sprachliche Rechte als Schwedischsprachige, aber mehr als die Sprecher*innen z.B. neuerer Einwanderersprachen.

Die Sprecher*innen des Schwedischen in Finnland heißen Finnlandschwed*innen. Sie sind keine geschlossene Gruppe, um dazu zu gehören, muss man keine finnlandschwedischen Eltern haben. Es reicht aus, sich mit der Kultur zu identifizieren, wobei Finnlandschwed*innen in der Regel auch Schwedisch sprechen. Åländer*innen zählen sich in erster Linie nicht zu den Finnlandschwed*innen, da ihre Verbundenheit mit den Inseln stärker ist als die mit den anderen Schwedischsprachigen.

Aber zurück zur Frage der unterschiedlichen Beschilderung. Es ist eigentlich ganz einfach: Alle dauerhaft in Finnland lebenden Personen müssen sich als Einwohner*in einer bestimmten Gemeinde registrieren – und ihre Muttersprache angeben: Finnisch, Schwedisch oder eben eine andere Sprache. Aus dem Verhältnis der Finnisch- und der Schwedischsprachigen ergibt sich der sprachliche Status einer Gemeinde: er kann einsprachig finnisch- oder schwedischsprachig sein oder zweisprachig mit finnisch- oder mit schwedischsprachiger Mehrheit (siehe  Karte im Slide). Damit eine Gemeinde zweisprachig ist, müssen mindestens 8 Prozent der Einwohner*innen oder 3.000 Personen die weniger verbreitete Sprache als Muttersprache angegeben haben.

Die aufmerksamen Leser*innen vermuten es bereits – die Beschilderung hängt mit dem sprachlichen Status einer Gemeinde zusammen. Der Status ist aber vor allem deshalb wichtig, weil darauf die sprachlichen Rechte der Einwohner*innen der Gemeinde und die Pflichten der Behörden basieren. So regelt es das Sprachengesetz. In zweisprachigen Gemeinden müssen die kommunalen und staatlichen Behörden die Bedienung der Kund*innen auf Finnisch und auf Schwedisch garantieren: Man muss auf der Muttersprache getraut werden, seine Steuererklärung machen und Erkundungen bezüglich seiner Rente einholen können. Das Sprachengesetz erstreckt sich nicht auf Privatunternehmen, d.h. rechtlich gesehen kann man im Supermarkt, Kino oder Restaurant keine Bedienung auf Schwedisch verlangen, ebenso wenig von Ämtern in einsprachig finnischsprachigen Gebieten. Diese Gemeinden machen mit 260 von 309 den Großteil Finnlands aus (siehe Karte im Slide). Der sprachliche Status wird alle zehn Jahre erneut festgelegt, zuletzt 2023. Åland als autonome Region Finnlands fällt übrigens nicht unter die sprachliche Gesetzgebung – es ist einsprachig schwedischsprachig.

Soweit die Theorie. Wie aber beeinflusst die Zweisprachigkeit eines Staates das Leben der Menschen? Die größte Pflicht für Finn*innen besteht darin, dass sie in der Schule neben dem Muttersprachunterricht auch die sogenannte andere einheimische Sprache lernen müssen (auf Åland ist der Finnischunterricht freiwillig), schließlich ist das Verhältnis zwischen Sprecher*innen verschiedener Sprachen besser, wenn man sich miteinander verständigen kann. Außerdem stehen einem bestimmte berufliche Möglichkeiten nur offen, wenn man beide Nationalsprachen beherrscht.

Sind also alle Finn*innen zweisprachig? Diese Frage muss ganz klar mit "Nein" beantwortet werden. Exemplarisch für das abnehmende Interesse am Schwedischen unter den jüngeren Finn*innen steht die ehemalige Ministerpräsidentin Sanna Marin: Anders als ihre Vorgänger*innen beherrschte sie als Person mit dem zweithöchsten politischen Amt nicht die andere Nationalsprache. Beim Amtsantritt begründete sie ihre schlechten Schwedischkenntnisse damit, dass sie in einem finnischsprachigen Gebiet aufgewachsen ist, versprach jedoch, ihr Schwedisch zu verbessern. Bis zum Ende ihrer Amtszeit vermied sie es aber, Schwedisch zu sprechen, wechselte sogar lieber ins Englische.

Es gibt viele Umfragen zum Verhältnis zwischen den Sprechergruppen. Diese bestätigen immer wieder, dass die Finnischsprachigen kein Schwedisch lernen wollen. Schüler*innen begründen dies oft damit, dass Englisch oder Russisch viel wichtiger seien als Schwedisch (wie schnell sich das ändern kann, sieht man aktuell im Fall des Russischen). Wie kann man Schüler*innen in Ostfinnland überzeugen, eine Sprache zu lernen, die aus ihrer Sicht genauso eine fremde Sprache ist wie Deutsch oder Französisch? Oder braucht man es ebenso wenig zu rechtfertigen wie für die Fächer Mathematik, Sport und Religion, da die Schule Allgemeinbildung vermittelt?

Die meisten Schwedischsprachigen dagegen wissen, dass ihre beruflichen Möglichkeiten und auch das Leben in Finnland im Allgemeinen ohne Finnischkenntnisse stark eingeschränkt sind. Diese werden für fast alle Jobs vorausgesetzt. Aus diesem Grund trifft man kaum Schwedischsprachige, die nicht auch gut oder sehr gut Finnisch beherrschen. Dabei ist zumindest theoretisch ein Leben ganz auf Schwedisch möglich, da es im zweisprachigen Teil Finnlands parallel zur finnischen auch eine meist gut ausgebaute schwedische Infrastruktur gibt: Zusätzlich zur oben erwähnten Möglichkeit, seine Angelegenheiten auf Ämtern auf Schwedisch zu erledigen, gibt es schwedischsprachige Bildungseinrichtungen vom Kindergarten bis hin zur Universität (Åbo Akademi in Turku – Åbo), mit Hufvudstadsbladet ein schwedischsprachiges Pendant zu Helsingin Sanomat, schwedischsprachiges Fernsehen und Radio sowie Untertitel im Kino. Das kulturelle Leben ist sehr vielseitig – es gibt kleine und große schwedischsprachige Theater und Kulturveranstaltungen, einen bedeutenden Buchverlag sowie Literatur- und Kulturzeitschriften.

Die finnlandschwedischen Traditionen vereinen in sich Elemente aus Schweden und aus dem finnischsprachigen Finnland: Die Feierlichkeiten um den ersten Mai heißen vappen (finn. vappu; in Schweden: valborg) und Mittsommer wird mit einem großen Feuer gefeiert (in Schweden mit Tänzen um den Maibaum). Ein alljährlicher Brauch zur Wintersonnenwende ist die Wahl der St. Lucia. Svenskfinland hat eine eigene (inoffizielle) Flagge mit gelbem Kreuz auf rotem Grund und jährlich wird am 6.11. der finnlandschwedische Tag gefeiert, Svenskadagen. Viele Größen der finnischen Kultur und Politik entstammen schwedischsprachigen Familien: der Offizier und Staatsmann Carl Gustaf Mannerheim, die Malerin Helene Schjerfbeck, der Komponist Jean Sibelius, die Dichter*innen Johan Ludvig Runeberg und Edith Södergran sowie die vielseitige Künstlerin und Schriftstellerin Tove Jansson. Aber Vorsicht: nicht immer verrät der Name die Muttersprache einer Person!

Für eine wenig verbreitete Sprache konnte das Schwedische in Finnland lange eine starke rechtliche und gesellschaftliche Stellung bewahren. Die Tendenz ist jedoch nicht nur, dass Schwedischkenntnisse unter Finnischsprachigen keine Selbstverständlichkeit mehr sind. Viel problematischer sind die sich daraus ergebenden Konsequenzen: Beamte und Angestellte bringen beim Eintritt ins Arbeitsleben immer schwächere Schwedischkenntnisse mit, ebenso Politiker*innen. Das führt dazu, dass Schwedischsprachige ihre Angelegenheiten auf Ämtern oft nicht in ihrer Muttersprache erledigen können, Informationen über die Gesundheitsversorgung oder gar bestimmte medizinische Leistungen nur auf Finnisch zugänglich sind oder nach den Zusammenlegungen von Gemeinden und aufgrund anderer politischer Entscheidungen auf dem Festland keine einzige einsprachig schwedischsprachige Gemeinde mehr existiert. Das Schwedische verschwindet auch zunehmend aus dem Straßenbild. Ein gutes Beispiel dafür ist die Post (finn. Posti), die solange sie ein staatliches Unternehmen war, noch die schwedische Nebenbezeichnung Posten trug – und Post auch dann zuverlässig zugestellt wurde, wenn die Adresse auf Schwedisch geschrieben war. Über diese und andere Probleme berichtet die schwedischsprachige Presse fast täglich.

Damit Finnland zukünftig nicht nur auf dem Papier zweisprachig ist, braucht es größere Aufmerksamkeit von Seiten Finnischsprachiger. Ob bei der Reformierung des Gesundheitssystems oder der Zusammenlegung von Ämtern und Schulen, immer müssen auch die sprachlichen Konsequenzen mitgedacht und von Angestellten des öffentlichen Dienstes müssen gute Schwedischkenntnisse eingefordert werden. Gleichzeitig gewinnt auch der Schwedischunterricht in Schulen wieder an Wert. Nur dann können sich zukünftige Ministerpräsident*innen auch wieder in beiden Nationalsprachen an die Bevölkerung wenden.

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Finnlands Zweisprachigkeit: ja, tack oder hei-hei? Ein Artikel in der Deutsch-Finnischen Rundschau Nr. 200 von Dr. Yvonne Bindrim. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Greifswalder Lehrstuhl für Fennistik und studierte an der Universität Greifswald die Fächer Fennistik und Skandinavistik. Ihre Forschungsschwerpunkte weisen sie als Soziolinguistin aus.

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Bildnachweise

Slide, Bild 1: Von der Schwedischen Volkspartei herausgegebene Reklamemarke aus dem Jahr 1922. (Autor/-in unbekannt; gemeinfrei)

Slide, Bild 2: Der sprachliche Status der Gemeinden Finnlands: schwedischsprachige (rot), zweisprachig mit schwedischer Mehrheit (orange) und mit finnischsprachiger Mehrheit (hellorange); alle anderen: finnischsprachig. (Hintergrund: © MML, 2019; Landschaftsgrenzen: wikimedia.org. Erstellt v. YB.)

Slide, Bild 3: Wegweiser in Turku – Åbo. (Foto: Mareen Patzelt)

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